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Beratung zwischen Haltung und Methode

„Meine 100 besten Tools für Coaching und Beratung“, „66 Methoden der individualpsychologischen Beratung“, „Methoden der Online-Beratung“ – Buchtitel wie diese finden sich im Überfluss. Auch bei unseren Ausbildungen in systemischer Organisationsberatung oder systemischem Coaching werden Methoden von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern häufig als erstes genannt: Wir wollen einen Werkzeugkoffer, Handwerkszeug, Methoden. Gute Beratung, so häufig die Erwartung, ist die Anwendung der richtigen Methoden.


Methoden, Methodik und Methodologie
Doch was sind Methoden? Verdeutlichen wir den Begriff zunächst an einem anderen Beispiel. Vermutlich sind Ihnen Methoden der Fragebogenerstellung vertraut. Da gibt es Methoden, Fragen richtig zu formulieren, eine gute Stichprobe zu wählen. „Vermeide Fragen mit mehrdeutigen oder unklaren Begriffen“ wäre Teil der Methoden der Fragebogenerstellung. An diesem Beispiel können wir gut verdeutlichen, was Methoden sind: Es sind Regeln, die praktisches Handeln in bestimmten Situationen leiten sollen: „Wenn du Fragen im Fragebogen formulierst, vermeide unklare Begriffe!“. Allgemein formuliert: Regeln sind Handlungsanweisungen der Form „wenn du in der Situation x bist, tue (oder unterlasse) y“!   Entsprechend sind Beratungsmethoden Regeln für die Beratung. „Wenn du einen Beratungsprozess startest, tue das und das“, „wenn du in der Beratung mit dem Inneren Team arbeitest, gehe in folgenden Schritten vor …“. Methodenhandbücher sind somit letztlich nichts anderes als Regelsammlungen „in der Beratungssituation x tue y!“.


Regeln zum Beispiel im Straßenverkehr werden nicht selten als unnötig belastend erlebt (warum soil ich hier 50 fahren?). Andererseits geben sie Orientierung und sind damit notwendig. Regeln, so formuliert Ervin Goffman, einer der bekanntesten Vertreter des Symbolischen Interaktionismus, sind zugleich Verpflichtung und Erwartung. Sie legen fest, wie man sich verhalten soll – und zugleich, was man erwarten kann.
Entsprechendes gilt für verschiedene Methoden in der Beratung: Sie sind Anweisungen, so und so vorzugehen, Sie geben Sicherheit. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Beratungsausbildung gewinnen Sicherheit, wenn sie wissen, in welchen Schritten sie vorgehen sollen. Methoden geben aber auch Orientierung für das Gegenüber. Unsere Klienten kennen die Regel, jedes Beratungsgespräch mit einem Rückblick zu beginnen „erzählen Sie, was sich seit unserem letzten Treffen ergeben hat“ –das gibt auch Ihnen Sicherheit.
Die Regel, zu Beginn des Beratungsgesprächs mit einem Rückblick zu starten, wird sicherlich nicht jeder Berater für sich aufgestellt haben. Vielleicht gehen Sie ganz anders vor. Und dieser Sachverhalt macht auf ein weiteres wichtiges Merkmal von Regeln aufmerksam: Regeln und damit auch Beratungsmethoden können einen unterschiedlichen Geltungsbereich haben. Es gibt Regeln, die nur für eine bestimmte Person gelten. Bei uns zum Beispiel: „Lass die Klientin erst einmal erzählen achte auf anklingende Themen“. Regeln können auch allgemeinere Geltung, zum Beispiel für ein bestimmtes Beratungskonzept haben: Verschiedene Beratungskonzepte wie klientzentrierte Beratung, systemische Beratung verhaltenstheoretische oder emotionsorientierte Beratung unterscheiden sich durch ihre methodischen Regeln. Eine Beraterin wird anders vorgehen, wenn sie auf der Basis der kognitiven Verhaltenstherapie arbeitet, als wenn sie das Modell der Transaktionsanalyse zugrunde legt. Und die jeweiligen Beratungsschulen wachen darüber, dass die methodischen Regeln auch eingehalten werden. 
Methodische Regeln, das wird an diesen Beispielen deutlich stehen im Zusammenhang mit theoretischen Modellen. Die These der kognitiven Verhaltenstherapie, dass menschliches Tun von Kognitionen gesteuert ist, bildet den Rahmen für bestimmte methodische Regeln: Kognitive Umstrukturierung, Verstärkung des Erreichten usw.
 

Bis in die 1990er Jahre war die Beratungsdiskussion stark gekennzeichnet von Gegensätzen zwischen verschiedener Schulen bzw. entsprechender Methodiken. Diese Situation hat sich mittlerweile geändert. Im Groben lassen sich hier drei Trends aufzeigen:

  • Der Trend zur Erweiterung des Methodenrepertoires. Reframing, das lange Zeit als spezifische NLP-Methode galt, ist unter dem Begriff „kognitive Umstrukturierung“ mittlerweile ebenso selbstverständlicher Bestandteil kognitiver Beratungskonzepte wie etwa als „Referenztransformation“ Bestandteil systemischer Beratung.  Anhänger einer systemischen Beratung in der Tradition von Luhmann befassen sich in der Beratung sehr wohl mit Personen und ihren Gedanken und Empfindungen – was dem ursprünglichen Konzept von Luhmann entgegensteht, das Personen der Systemumwelt zuordnet. Erweiterung des methodischen Repertoires vergrößert zugleich die Handlungsmöglichkeiten in der Beratung.
  • Der Trend zu emotionsfokussierten Methoden. Hintergrund sind die Entwicklungen im Kontext der Neurobiologie (man denke an den Begriff der „emotionalen Intelligenz“ im Anschluss an Goleman) und die damit verbundene „emotionale Wende“ in der Verhaltenstherapie, d.h. die Einsicht, dass menschliches Verhalten in hohem Maße nicht rational, sondern emotional gesteuert ist. Das hat zur Entwicklung emotionsfokussierter Methoden (z.B. ZRM) geführt.
  • Schließlich der Trend zur Integration von Methoden aus dem Business-Kontext. Dass sich ein Beratungsprozess zur Frage „wo soll die Reise hingehen?“ sehr gut nach dem Strategiemodell mit den Hauptschritten Vision, Ist-Analyse und Strategieumsetzung gliedern lässt, ist für viele Beraterinnen und Berater selbstverständlich. Auch SWOT, Stakeholder-Analyse oder (um neuere Konzepte zu nennen), Effectuation und Purpose können sehr wohl einen Beratungsprozess gliedern. Erkenntnisse aus dem Zeitmanagement können als Anregungen einfließen. In diesem Zusammenhang ist auch die Integration agiler Verfahren in die Beratung zu sehen: Um eine Klientin zu unterstützen, ihre Position in ihrer Organisation zu erkennen und ggf. abzuändern, kann ich sehr wohl neben Stakeholderanalyse und Systemvisualisierung das Konzept der Persona anwenden, ich kann einer Klientin oder einem Team empfehlen, die Bewältigung anstehender Herausforderungen in „Sprints“, d.h. kürzere Zeitabschnitte zu gliedern …

Kriterium für die Anwendung bestimmter Methoden ist letztlich der Erfolg in der Beratung. Klienten, das wissen wir bereits aus der Therapieforschung, wollen Lösungen für konkrete Probleme, Entsprechend: Wenn die Visualisierung des sozialen Systems dem Klienten hilft, seine Position in seiner Abteilung zu erkennen und neue Handlungsmöglichkeiten in den Blick zu nehmen, ist das eine „bewährte“ Methode, die eine Beraterin dann eher für sich tradieren wird.

Menschenbild/Haltung und Methoden: Zwei Seiten des Beratungshandelns
Aber erfolgreiche Beratung ist etwas anderes ist als bloße Anwendung von Methoden. Auch das wissen wir bereits aus Therapie und Beratungsforschung: Neben der Lösungsorientierung ist es immer auch die Persönlichkeit der Beraterin oder des Beraters, die über den Erfolg der Beratung entscheidet. Bloße Anwendung von Methoden führt dazu, dass Beratung ein technischer Ablauf wird, dass eben dadurch die wichtigen Nuancen nicht erfasst werden. Wir erfahren es im Grunde immer wieder bei unseren Ausbildungen: Während in den ersten Modulen das Üben der Methoden im Mittelpunkt steh, entwickelt sich dann allmählich Flexibilität im Umgang mit Methoden, bekommt das intuitive Vorgehen zunehmend größeres Gewicht.
Erfolgreiches Handeln, so das Ergebnis, ist etwas anderes ist als die mehr oder minder technische Befolgung von Regeln. Erfolgreiches Handeln ist immer auch emotional gesteuertes Handeln: das Gefühl dafür zu haben, welche Intervention jetzt passend sind, welche Formulierung den richtigen Ton trifft, welche schwachen Signale beim Klienten anklingen, deren Bearbeitung neue Lösungen generiert. 
Emotionale Steuerung des Handelns basiert letztlich auf einem bestimmten Menschenbild und den daraus resultierenden Grundhaltungen: dem Menschenbild einer Humanistischen Psychologie mit der Grundthese, dass Menschen die Fähigkeiten und die Ressourcen haben, sich selber weiter zu entwickeln, und den daraus resultierenden Grundhaltungen der Wertschätzung, der Empathie und der Kongruenz bzw. Authentizität, wie es Rogers formuliert. Grundhaltungen sind nicht ein Set fester Regeln, sondern sind emotional gespeichert. Sie leiten damit das Handeln nicht rational (ich kann Empathie nicht technisch planen), sondern auf einer emotionalen Ebene.


Dabei stehen Methoden und die beraterische Grundhaltung nicht in einem Gegensatz. Intuitives Gespür und intuitives Handeln sind nur möglich, wenn zugleich Methoden zur Verfügung stehen, die im sog. biografischen Gedächtnis gespeichert sind. Sie kennen das sicherlich von anderen Bereichen: Auch Autofahren kann man intuitiv, aber nur dann, wenn man bereits Erfahrungen mit den jeweiligen Methoden hat. Entsprechendes gilt für Beratung: Intuitive Beratung setzt die Übung und Anwendung von Methoden voraus.
Beraterinnen und Berater brauchen Methoden, das heißt Regelsysteme der Form „in der Beratungssituation x kannst du die Methode y anwenden“.  Sie brauchen aber die Speicherung der Erfahrungen mit diesen Methoden im emotionalen Gedächtnis, damit diese Erfahrungen genutzt werden können.  
Beraterinnen und Berater brauchen aber zugleich die emotionale, durch Menschenbild, Werte und Haltungen festgelegte Steuerung ihres Handelns. So lässt sich zusammenfassen: Haltung ohne Methodik macht hilflos, Methodik ohne Haltung macht Beratung zu einer bloßen Technik und damit verantwortungslos und gefährlich.
 

Autor*in

Prof. Dr. Eckard König

emeritierter Professor an der Universität Paderborn mit dem Arbeitsschwerpunkt Weiterbildung/Organisationsberatung. Er hat langjährige internationale Erfahrung bei der Beratung von Organisationen und führt – zusammen mit Gerda Volmer – seit über 25 Jahren eine der erfolgreichsten Ausbildungen in Systemischer Organisationsberatung durch.

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Dr. Gerda Volmer

Leiterin des Wissenschaftlichen Instituts für Beratung und Kommunikation Paderborn (WIBK), langjährige Praxistätigkeit in Beratung, Supervision, Teamentwicklung, Weiterbildung in verschiedenen Institutionen; Leitung und Beratung von Veränderungsprojekten, internationale Erfahrung, Forschungstätigkeit im Bereich Organisationsberatung und Kommunikation.

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